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Expertenkolumne 24.10.2024 13:04:26

Von der Fragilität zu grösserer Stabilität: Wirtschaftsausblick und Investitionsstrategien im Euroraum

Von der Fragilität zu grösserer Stabilität: Wirtschaftsausblick und Investitionsstrategien im Euroraum

Trotz schwacher Wachstumsaussichten machen die erhöhte Widerstandsfähigkeit und Stabilität des Euroraums europäische Anleihen attraktiv.

Während der Euroraum mit einer schwachen Wachstumsprognose kämpft, zeigt er gleichzeitig Widerstandsfähigkeit. Da die Europäische Zentralbank (EZB) einen Weg zur Normalisierung der Geldpolitik einschlägt, glauben wir, dass europäische Anleihen weiterhin attraktiv sind. Sie bieten heute attraktive Renditen und mögliche Kursgewinne, sollten sich die Bedingungen verschlechtern.

Auswirkungen nach der Pandemie

Nach Beginn der Pandemie im Jahr 2020 war das Wachstum im Euroraum schwach. Die Region erlebte einen tieferen Abschwung und eine verhaltenere Erholung als die meisten anderen entwickelten Länder. Die Nähe des Euroraums zum Ukraine-Russland-Konflikt machte ihn anfälliger für steigende Energiepreise, die fiskalpolitischen Unterstützungsmassnahmen waren weniger grosszügig als in den USA, und kurzfristigere Hypotheken haben die Auswirkungen der strafferen Geldpolitik verstärkt.

Oberflächlich betrachtet sind viele der disruptiven Auswirkungen der Pandemie inzwischen abgeklungen. Wie andere entwickelte Volkswirtschaften erscheint der Euroraum "normaler" als zu jedem Zeitpunkt seit Beginn der Pandemie (mehr dazu in unserem aktuellen Konjunkturausblick "Sanfte Landung voraus" Die Gesamtinflation ist zum Ziel der EZB zurückgekehrt. Die reale Wirtschaftstätigkeit wuchs in der ersten Jahreshälfte mit einer mit einer Geschwindigkeit nahe am langfristigen Trend, und das Kreditwachstum hat sich stabilisiert. Die Haushaltsdefizite sind im Allgemeinen gesunken. Ausserdem beginnt sich die Geldpolitik zu normalisieren, wobei die EZB die Zinssätze in diesem Jahr bereits dreimal gesenkt hat.

Dennoch bleibt der Ausblick fragil. Konjunkturell belasten die Schwäche in China und in der weltweiten Industrie die Wirtschaftstätigkeit, vor allem in Deutschland, während die Haushalte die während der Pandemie angesammelten Sparüberschüsse aufgebraucht haben. Strukturell bleibt das Produktivitätswachstum schwach, und anders als in den meisten anderen Ländern sind die Investitionsausgaben im Euroraum in den letzten zwei Jahren eingebrochen. Der ehemalige EZB-Präsident Mario Draghi hat kürzlich eine umfassende Liste von Politikempfehlungen zur Verbesserung der langfristigen Wachstumsaussichten veröffentlicht. Die meisten davon werden jedoch wahrscheinlich nicht umgesetzt, und bei denjenigen, die umgesetzt werden, bezweifeln wir, dass sie die Wachstumsentwicklung in absehbarer Zeit wesentlich verändern werden.

Insgesamt erwarten wir, dass das Wachstum im Euroraum mit rund einem Prozent verhalten ausfällt, was nahe am langfristigen Wachstumstrend liegt. Obwohl wir keine unmittelbar bevorstehende Rezession vorhersehen, bleibt das Risiko einer solchen erhöht, nicht zuletzt angesichts der Unsicherheit über die Aussichten für den Welthandel im Lichte der bevorstehenden US-Wahlen.

Stabilität inmitten von Fragilität

Trotz der fragilen Wachstumsaussichten sind wir in einem entscheidenden Aspekt optimistischer: Es ist unwahrscheinlich, dass die Wirtschaft des Euroraums zur Instabilität von vor einem Jahrzehnt zurückkehrt.

Zum einen haben sich die politischen Massnahmen als wirksamer und zeitnaher erwiesen als in der Vergangenheit. Die EZB war während der Pandemie ein zuverlässiger Kreditgeber letzter Instanz für Staaten, erwarb Vermögenswerte und führte neue Instrumente ein (wie das Transmissionsschutzinstrument), um Instabilität abzumildern. Auch die Fiskalpolitik war mit der Einführung grenzüberschreitender Finanztransfers durch den EU-Aufbaufonds proaktiver, was möglicherweise einen Präzedenzfall für künftige Abschwünge schafft. Auch das heutige politische Umfeld scheint weniger störend zu sein, da die Unterstützung für einen Austritt aus der Währungsunion in den meisten Ländern schwindet.

Auch gibt es weniger wirtschaftliche Ungleichgewichte in der Region. Viele der externen Ungleichgewichte, die vor der Finanzkrise bestanden, sind zurückgegangen. Nach einem Jahrzehnt der Leistungsbilanzüberschüsse ist der Euroraum heute ein Nettogläubiger gegenüber dem Rest der Welt, mit höheren internationalen Vermögenswerten als Verbindlichkeiten. Auch das Wirtschaftswachstum hat sich innerhalb der Region angeglichen, wobei die zuvor zurückgebliebenen Länder, insbesondere in der Peripherie, die Kernländer und insbesondere Deutschland seit Beginn der Pandemie übertroffen haben.

Generell ist das Ausbleiben signifikanter finanzieller Spannungen in den letzten Jahren ein Zeichen der Widerstandsfähigkeit. Zwar war das Wachstum schwach, doch die Risikoaufschläge für Staatsanleihen blieben trotz zahlreicher Herausforderungen weitgehend stabil, darunter: ein benachbarter Krieg, Russlands Gaslieferkürzungen, steigende Zinssätze, der Zusammenbruch der Credit Suisse und die Wahl einer rechtsextremen Regierung in Italien. Es ist schwer vorstellbar, dass der Euroraum in den letzten Jahren stärkeren Schocks ausgesetzt war, um seine Widerstandsfähigkeit auf die Probe zu stellen.

Natürlich bleiben angesichts des Fehlens einer vollständigen Fiskal- und Finanzunion einige Restrisiken bestehen. Dennoch scheint die Region stabiler zu sein als noch vor einem Jahrzehnt.

Geldpolitik zurück zur Neutralität

Was bedeutet all dies für die Geldpolitik? Kurzfristig ist die Richtung klar. Da pandemiebedingte Faktoren weiter nachlassen, erwarten wir, dass die Kerninflation im nächsten Jahr zum Ziel der EZB zurückkehrt. Dies sollte es der Zentralbank ermöglichen, ihre Leitzinsen in den kommenden Sitzungen weiter zu senken. Mit der Zeit rechnen wir damit, dass die Leitzinsen zu einem neutraleren Niveau zurückkehren werden.

Auf lange Sicht sind die Aussichten für die Geldpolitik unklarer. Wo liegt der neutrale Leitzins oder r-Star? Obwohl die Unsicherheit hoch bleibt, erwarten wir nicht, dass die Zinssätze auf ihr Niveau vor der Pandemie zurückkehren werden. Die Inflationserwartungen haben sich auf einem höheren Niveau neu verankert, und die Inflationsrisiken erscheinen nun ausgewogener um das Zwei-Prozent-Ziel herum als vor der Pandemie. Zudem sind die Risikoaufschläge für Staatsanleihen heute im Allgemeinen enger, was teilweise auf einen stärkeren institutionellen Rahmen zurückzuführen ist. Das bedeutet, dass die EZB einen höheren Leitzins als zuvor beibehalten kann, um die gleichen Gesamtkreditkosten zu erreichen. In Ermangelung einer Rezession erwarten wir, dass der Leitzins im Bereich von 1,5-2,0 Prozent landen wird. Zwar könnte eine Rezession zu niedrigeren Zinsen führen, doch glauben wir, dass die Hürde für eine Rückkehr der EZB zu Negativzinsen sehr hoch bleibt.

Investmentimplikationen

Vor diesem Hintergrund bleiben Anleiheinvestitionen in Europa attraktiv. Während die Preisgestaltung der kurzfristigen Zinssätze der EZB insgesamt fair erscheint, erwarten wir, dass sich die Zinsstrukturkurve im Zuge der geldpolitischen Normalisierung weiter versteilt. Damit könnten die langfristigen Zinssätze im Vergleich zu den kurzfristigen Zinsen steigen.

Die Unterscheidung zwischen Kern- und Peripherieländern in Bezug auf Anleihespreads ist unschärfer geworden und wird es wahrscheinlich auch bleiben. Die jüngste politische Volatilität in Frankreich hat dazu geführt, dass die französischen Kreditkosten nun auf dem Niveau Spaniens liegen, was gerechtfertigt erscheint. Gleichzeitig dürften die Spreads italienischer Staatsanleihen (BTP), gestützt durch einen verbesserten institutionellen Rahmen, stabiler bleiben und Diversifikationsvorteile für Anlageportfolios bieten.

Autor: Nicola Mai, Ökonom und Sovereign Credit Analyst, und Peder Beck-Friis, Ökonom, bei PIMCO.

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