Klassenkampf wird riskiert |
08.04.2023 22:33:00
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"Mangel an Analyse, Überwachung und Weitsicht": Ökonomin geht mit Zentralbanken hart ins Gericht
Die US-Notenbank Fed, genauso wie die europäische Notenbank EZB, haben erst kürzlich trotz internationaler Bankenkrise entschieden, die Zinsen weiter anzuheben. Die Inflation senken, koste es, was es wolle, ist die Devise der Währungshüter. Doch wie die Bankenkrise zeigt, wird der Preis dafür immer höher. Geht es nach einer britischen Ökonomin, bevorzugen die Zentralbanken gar einen "Klassenkampf vor Finanzstabilität".
• Ökonomin Ann Pettifor kritisiert dogmatisches Handeln der Währungshüter
• Fed kündigt Kurswechsel an
Das Jahr 2022 stand ganz im Zeichen des Kampfes gegen die Inflation. Angefangen bei der Bank of England im Februar 2022, zog im März die US-Notenbank Fed mit Zinserhöhungen nach, gefolgt von der Europäischen Zentralbank im Juli. Seither kennen die Leitzinsen nur eine Richtung - aufwärts. Dabei kann die Währungshüter beim Kampf gegen die Inflation nichts stoppen, nicht einmal die Bankenkrise, die zunächst in den USA mit der Silicon Valley Bank ihr prominentestes Opfer forderte und in Europa kurz darauf die Credit Suisse in die Knie zwang.
Mittlerweile regen sich jedoch kritische Stimmen, die den kompromisslosen Ansatz der Währungshüter für fatal halten. Zu ihnen gehört die britische Ökonomin Ann Pettifor, die mit ihrer eintreffenden Prognose der globalen Finanzkrise 2008 Bekanntheit erlangte. So liess die Wirtschaftsberaterin ihren Gedanken zu dem Thema in ihrem jüngsten Newsletter freien Lauf und übte dabei scharfe Kritik an den Zentralbanken.
Die Ursache allen Übels
Dabei geht die Wirtschaftsexpertin zunächst auf die Ursachen des jüngsten Bankenkollapses ein. In Zeiten der Niedrigzinsphase seien Staats- und Unternehmensanleihen mit sehr niedrigen Renditen von Investoren jeder Grösse eine beliebte Möglichkeit gewesen, eine vernünftige Absicherung zu haben, wenn höhere Kredite aufgenommen wurden. Aufgrund der niedrigen Zinsen, sei es günstig gewesen, sich Geld zu besorgen, was dazu geführt hätte, dass die Privatverschuldung stark zugenommen hätte. Gleichzeitig hätten die Zentralbanken wenig dagegen unternommen, dieses Phänomen zu zügeln oder zu überwachen.
Bei steigenden Zinsen würden neue Anleihe ausgegeben, die nun eine höhere Rendite abwerfen. Die neuen Bonds seien sogar noch wertvoller: Wenn es nur wenige davon auf dem Markt gebe, sei es daher sogar möglich, dass die neuen Anleihen mit höherer Rendite mehr wert sind, als die "alten" Anleihen, die noch zu Niedrigzinszeiten ausgegeben wurden. So könne es passieren, dass sich Anleger von den älteren Anleihen trennen, um sich stattdessen mit den neueren Bonds einzudecken.
Würden viele dieser niedrigeren Bonds verkauft, fielen diese ausserdem im Wert. Das sei für die Besitzer dieser älteren Anleihen jedoch unerheblich, wenn sie sie bis zum Ende ihrer festgelegten Laufzeit behalten würden, es also keinen Grund gebe, sich frühzeitig von den Wertpapiere zu trennen. Anders verhalte sich dies laut Pettifor jedoch dann, wenn die Anleihen als Kreditsicherheit dienen würden und die Gläubiger mitbekämen, dass die Sicherheiten an Wert verlieren. Diese würde in dem Fall fordern, dass mehr Sicherheiten nachgeschossen werden, damit immer sichergestellt wird, dass die Schulden auch beglichen werden können.
Genau dies war bei der Silicon Valley Bank passiert. Als Grossinvestoren rund um Starinvestor Peter Thiel klar wurde, dass die Kreditsicherheiten der SVB Financial Group sanken, brachten sie ihr Geld in Sicherheit und lösten damit eine Art digitalen Bankenrun aus.
Die Ökonomin stellt sich nun jedoch die Frage wie es passieren konnte, dass Venture Kapitalisten wie Thiel die Schuldenkrise haben kommen sehen, nicht jedoch die zuständigen Finanzbehörden.
Dogmatischer Kampf gegen Inflation problematisch
Für Pettifor ist die Antwort in der Tatsache zu finden, dass für die Währungshüter eine hohe Inflation alle anderen Bedrohungen in den Schatten stellt. Dabei übt die Wirtschaftsexpertin scharfe Kritik: "Mit einem Mangel an Analyse, Regulierung, Überwachung und Weitsicht haben Zentralbanker in der letzten Woche gezeigt, dass sie nicht davor zurückscheuen hohe Zinsen zu riskieren und sogar Bankenkrisen und Finanzinstabilität herbeizuführen. Sie haben dies getan und tun es noch immer, indem sie die Geldpolitik von hochverschuldeten Volkswirtschaften mit fallenden Realeinkommen bewusst straffen."
Für Pettifor selbst sei diese Realität schwer verständlich, in der "die Beamten, die die Zentralbanken leiten, gemeinsam mit ihren Vorständen und Mitarbeitern bereit zu sein scheinen Privatbanken und die globale Finanzstabilität in ihrer Hast, die Zinsen zu erhöhen, die Nachfrage zu zerstören, Arbeiter zu disziplinieren und das Einkommen des Lands zu senken, willentlich zu opfern."
Letztlich würde dies davon zeugen, dass die Zentralbanken "der Finanzstabilität einen Klassenkampf vorziehen". Dies hätte zuletzt die EZB bewiesen, als sie trotz Bankenkrise und strauchelnder Credit Suisse die Leitzinsen noch einmal um 50 Basispunkte angezogen hätte.
Hohe Löhne Ursache der Inflation?
Die Währungshüter würden nicht müde zu betonen, dass ein angespannter Arbeitsmarkt gemeinsam mit höheren Löhnen zu den tieferliegenden Ursachen der Inflation gehören würde, ausgelöst durch eine zu hohe Nachfrage, die im Zuge der Stimuli nach der Finanzkrise 2008 entstanden sei. Pettifor sei viel mehr der Meinung, dass die Teuerung durch Spekulationen am Rohstoffmarkt ausgelöst würde. Wenn nun Arbeiter mehr Lohn fordern würden, um auf höhere Energie- und Rohstoffkosten reagieren zu können, wäre dies eine Folge, nicht jedoch die Ursache der Inflation der Rohstoffpreise.
Wie Fortune in Reaktion auf den Pettifor-Newsletter hinzufügt, würde ein gelockerter Arbeitsmarkt zwar dazu beitragen, dass die Wirtschaft und damit auch die Nachfrage abkühle, dies führe jedoch auch dazu, dass es zu Entlassungen, Arbeitslosigkeit und einer möglichen Rezession komme. Hinzu komme, dass die Reallöhne laut Pettifor aktuell sogar sinken, weil die Löhne nicht so schnell wie die Inflation gestiegen sind.
Fed kündigt Kurswechsel an
Von den Zentralbanken werde es hingegen so hingestellt, dass der Druck auf Arbeiter und einkommensschwache Gruppen ein nicht zu vermeidendes Übel im Kampf gegen die Inflation sei. Dabei ist es natürlich auch wahr, dass die starke Teuerung auch für viele Menschen eine grosse Bürde darstellt. Immerhin hat die US-Notenbank Fed im Zuge ihres jüngsten Zinsentscheids am 22. März, bei dem der Leitzins um weitere 25 Basispunkte angehoben wurde, einen Kurswechsel angekündigt. So sagte Fed-Chef Jerome Powell während der Pressekonferenz: "Wir geben nun nicht mehr an, dass wir davon ausgehen, dass laufende Zinserhöhungen angemessen sein werden, um die Inflation zu dämpfen." Ein weiterer Zinsschritt sei in diesen Jahr jedoch noch vorgesehen. Es bleibt abzuwarten, ob sich andere Zentralbanken dem Kurswechsel der Fed anschliessen werden.
Redaktion finanzen.ch
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