Problematische Gemengelage |
06.07.2022 23:26:00
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Höchste Schweizer Zinsanhebung seit 2000: Was heisst das für die heimischen Aktien?
Mit der Entscheidung der Schweizerischen Nationalbank (SNB), den Leitzins um 0,5 Prozent zu erhöhen, hatten die wenigsten Anleger gerechnet. Die Folge war ein Aktienabverkauf, der SMI sackte auf den tiefsten Stand seit 2020 ab. Je nach Branche und Finanzdaten dürften die eidgenössischen Unternehmen aber sehr unterschiedlich auf die steigenden Zinsen reagieren, wie eine genauere Analyse zeigt.
• Die Reaktion fiel je nach Aktienklasse sehr unterschiedlich aus
• Defensive Titel als sichere Häfen gefragt, hoch bewertete Aktien werden abverkauft
Auch hierzulande hat die Zinswende begonnen. Vorbei sind die Zeiten des ultraliquiden Geldes, der negativen Leitzinsen, der günstigen Kredite. Es findet ein vieldiskutierter Paradigmenwechsel an der Börse statt - wie genau sieht dieser aus?
Schweizer Leitzinsanhebung mit historischer Dimension
An den 16. Juni werden sich heimische Anleger bei einem 2022er-Jahresrückblick sicherlich erinnern. Erstmals seit fünfzehn Jahren erhöhte die Schweizerische Nationalbank die heimischen Leitzinsen, die seit Januar 2015 konstant bei -0,75 Prozent lagen. Die SNB begründete die Entscheidung mit einem "hohen inflationären Druck", dem sie entgegenwirken wolle. Besonders überraschend war die Höhe der Leitzinsanhebung um 0,5 Prozent; zuvor war - wenn überhaupt - nur mit einem Schritt von 0,25 Prozent gerechnet worden. Dennoch bleibt der Leitzins in der Schweiz auch nach dem Zinsschritt noch im negativen Bereich (-0,25 Prozent), wohingegen die Zinsen in den USA nach drei Zinsschritten der Notenbank Fed bereits in einer Spanne von 1,5 bis 1,75 Prozent liegen. Jedoch ist die SNB mit ihrem Schritt schneller als die Europäische Zentralbank (EZB), die erst für Juli eine 0,25-prozentige Zinserhöhung ankündigte.
Nach Zinsentscheid: Schweizer Aktien im Sinkflug
In der Schweiz liegen die Inflationsraten zwar deutlich tiefer als in den USA oder der Eurozone, dennoch kann sich auch die heimische Wirtschaft dem globalen Inflationsdruck nicht vollends entziehen. Die SNB kündigte denn auch an, weitere Zinsschritte in Erwägung zu ziehen. Die Zinswende ist folglich auch in der Eidgenossenschaft Realität geworden, was umgehend zu Einbrüchen an der heimischen Börse führte. Zum Handelsschluss am Tag des Zinsentscheids (16. Juni 2022) fiel der Schweizer Leitindex SMI auf einen Stand von 10.475,37 Punkten - das war ein Niveau, auf dem das Schweizer Börsenbarometer zuletzt im Herbst 2019 notierte. Alle zwischenzeitlichen Gewinne seit dem Corona-Tief waren damit ausradiert. Der Raiffeisen-Anlagechef Matthias Geissbühler ist denn auch wenig optimistisch für die weiteren Aussichten des Aktienmarkts: "Steigende Zinsen erhöhen den Diskontierungsfaktor und reduzieren damit die Gegenwartswerte", zitiert "cash" den Experten. Hinzu kämen die sich abkühlenden Konjunkturaussichten, welche die Aktienbewertungen nach unten korrigieren könnten. Immerhin löse sich aber durch ein Ende des Negativzinses die "massive Verzerrung am Finanzmarkt" auf, weshalb Geissbühler den SNB-Entscheid summa summarum begrüsst.
Doch trotz der düsteren Prognosen erholte sich der SMI in den vergangenen Handelstagen wieder ein wenig - eine potenzielle Aufwärtsbewegung dürfte für die einzelnen Aktienklassen aber sehr unterschiedlich ablaufen.
Nestlé, Roche & Co.: Defensive Aktien mit stabilen Erträgen
Das Börsenjahr 2022 wurde bislang charakterisiert durch ein Zusammentreffen vieler Belastungsfaktoren wie hohe Inflation, kontraktive Geldpolitik, Zero-COVID-Lockdowns in China, globale Lieferengpässe und den die Rohstoffpreise antreibenden Ukraine-Krieg. Allerdings kamen die defensiven Schwergewichte aus dem SMI bislang verhältnismässig gut durch diese toxische Gemengelage. Der Lebensmittelgigant Nestlé sowie die Pharmariesen Roche und Novartis profitieren dabei von ihrer enormen Preissetzungsmacht, die sie vergleichsweise effektiv höhere Preise durchsetzen lässt. Zudem sind ihre Produkte zumeist unverzichtbare Bestandteile des täglichen Konsums, weshalb die Aktien als weniger konjunktursensibel einzustufen sind. Zudem sind die Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV) der drei Aktien relativ niedrig, was sie vor einem Abverkauf schützt. Der Nestlé-Aktienkurs wird darüber hinaus durch das Aktienrückkaufprogramm im Wert von 20 Milliarden Franken bis 2024 gestützt, wie "cash" betont.
Geissbühler spricht einen weiteren positiven Punkt an: "Da sich trotz Zinserhöhung der SNB die Zinsdifferenz zu den USA in diesem Jahr vergrössert und der Dollar entsprechend aufgewertet hat, dürften 'USD earner' wie Novartis, Roche und Nestlé von einem positiven Währungseffekt profitieren", erklärt der Börsenfachmann. Seiner Meinung nach dürfte ein solcher positiver Währungseffekt auch den Schweizer Luxusgüterkonzernen Swatch und Richemont Auftrieb verleihen, nachdem diese im zweiten Quartal besonders stark unter den COVID-Lockdowns in China gelitten haben.
Auch in den kommenden Monaten dürften die drei SMI-Schwergewichte Nestlé, Novartis und Roche ihrem Ruf eines defensiven Investments mit vergleichsweise geringer Volatilität im Grossen und Ganzen gerecht werden - wenngleich kurzfristige, nachrichtengetriebene Rücksetzer wie bei der Novartis-Aktie Mitte Juni natürlich weiterhin möglich sind. Neben den drei klassischen Defensiv-Aktien sind ebenfalls der Telekommunikationskonzern Swisscom sowie die Versicherungsunternehmen Zurich Insurance oder Helvetia als Unternehmen hervorzuheben, die auch in einer Rezession stabile Erträge generieren dürften. Auch diese Titel haben in vergangenen Börsenabschwüngen ihre Rolle als attraktive Felsen in der Brandung bewiesen.
Hoch bewertete Aktien werden aus dem Depot geworfen
Während die oben genannten Titel die Börsenkrise relativ unbeschadet überstehen könnten, gibt es andere Aktienklassen, die besonders stark unter der Leitzinsanhebung sowie einer potenziellen Rezession leiden. Zuvorderst sind hier Tech-Highflyer zu nennen: Diese hoch bewerteten Aktien sind Hauptleidtragende einer Verknappung des Geldes und einer damit einhergehenden Bewertungskontraktion. In Zeiten einer restriktiven Geldpolitik wählen Anleger lieber den sprichwörtlichen Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach - stabile Gewinne sind gefragt, nicht mehr Wachstum um jeden Preis. Dies schadete auf dem heimischen Aktienmarkt besonders den Tech-Aktien Logitech, Temenos oder VAT, die allesamt erheblich unter ihren jeweiligen Rekordhochs notieren. Zudem sind Medizintech-Unternehmen wie Straumann oder Medartis sowie wachstumsorientierte Industrietitel wie Sika oder Geberit erheblich unter die Räder geraten. Ebenfalls zu den High-Flyern sind die Penny-Stocks zu rechnen, die oftmals hochspekulative Investments darstellen und enorm in ihrem Wert schwanken. Hierzulande sind vor allem die zuletzt stark abverkauften Aktien Addex Therapeutics, Blackstone Resources und Relief Therapeutics zu dieser Gruppe zu zählen.
Ob und wann sich diese Aktien erholen, wird besonders von der Geldpolitik abhängen - starke Kurssprünge sind zumindest während des Zinsanhebungszyklus nicht unbedingt zu erwarten.
Immobilien-Aktien werden durch steigende Zinsen unattraktiver
Neben den spekulativeren Aktien mit hohen Wachstumsraten, aber geringen bis gar keinen Gewinnen werden auch Immobilienunternehmen als Hauptleidtragende der steigenden Zinsen betrachtet. Bei einem steigenden Leitzins erhöhen sich auch die Zinsen, die potenzielle Immobilienkäufer auf ihre Kredite bei den Banken zahlen müssen. Der Kauf von Häusern und Wohnungen wird somit teurer und unattraktiver. Die im Niedrigzinsumfeld festzustellende, enorme Preissteigerung der Immobilien hierzulande könnte sich folglich zumindest vorerst abkühlen. Aus diesem Grund war bei den Schweizer Immobilien-Aktien wie PLAZZA, Investis oder Novavest Real Estate nach dem 16. Juni der Verkaufsdruck besonders hoch. Immerhin haben sich die hiesigen Immobilienkonzerne insgesamt besser gehalten als der deutsche Immobilienriese Vonovia, der seit Jahresfrist mehr als 30 Prozent im Minus liegt.
Insgesamt kann man festhalten, dass der Aktienmarkt allgemein unter hohen Zinsen leidet, da alternative Anlageformen wie Anleihen attraktiver werden. Zudem können sich gerade wachstumsorientierte Unternehmen am Kapitalmarkt nur zu schlechteren Konditionen Kredite besorgen. Deshalb spiegeln sich Zinsanhebungen üblicherweise - so wie auch 2022 - in niedrigeren Ständen der Börsenindizes wider. Dennoch zeigt eine detaillierte Betrachtung, dass einzelne Aktien je nach Branchenzugehörigkeit und Finanzprofil sehr unterschiedlich im allgemeinen Abwärtsstrudel performen. Steigende Zinsen in der Schweiz wirken sich verschiedenartig auf die heimischen Unternehmen aus, folglich ist das geldpolitische Umfeld gerade momentan ein besonders wichtiger Aspekt.
Redaktion finanzen.ch
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