Negatives schon eingepreist |
03.04.2022 14:44:00
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"Verlockende Bewertungen": JPMorgan-Experte sieht Einstiegsgelegenheit am Aktienmarkt
Angesichts immer höherer Inflationsraten und des Ukraine-Kriegs meiden derzeit viele Anleger Aktienkäufe - ein Fehler, glaubt JPMorgan-Fondsmanager Bob Michele. Er sieht die negativen Informationen bereits eingepreist und kauft beherzt nach. Was macht ihn so zuversichtlich?
• Michele: Sinkende Aktienpreise und steigende Anleihezinsen bieten Chancen
• JPMorgan-Analyst empfiehlt Kauf von europäischen Bankenaktien
Bob Michele, Chef-Investor bei der globalen Anleihen-, Währungs- und Rohstoff-Sparte von JPMorgan Chase, bleibt ungeachtet der zahlreichen Widrigkeiten weiterhin optimistisch für die US-Konjunktur. Dank der weiterhin guten Nachfragesituation hält er eine Rezession für unwahrscheinlich, so der Fondsmanager gegenüber der US-Nachrichtenagentur Bloomberg. Angesichts einiger "verlockender Bewertungen" sieht Michele deshalb optimale Einstiegsgelegenheiten an den internationalen Finanzmärkten.
Michele erwartet weiterhin positive Konjunkturlage
Im Zuge der hohen Inflationsraten und besonders des Ukraine-Kriegs sind pessimistische Konjunkturaussichten an der Tagesordnung; Börsenkenner wie US-Hedgefondsmanager Carl Icahn zeichnen düstere Zukunftsszenarien einer drohenden Stagflation. Auch Marktstrategen der US-Banken Morgan Stanley und Citigroup warnten jüngst vor einem Beben am Aktienmarkt.
Michele stimmt diesen negativen Prognosen nicht zu. Im Gegenteil: Für ihn bleibt ein ordentliches Wirtschaftswachstum in den USA weiterhin das Basisszenario. Die Wahrscheinlichkeit einer Rezession beziffert sein Team dagegen nur auf 15 Prozent, auch wenn die JPMorgan-Strategen die Wahrscheinlichkeit eines überdurchschnittlichen Wirtschaftswachstums infolge des Ukraine-Konflikts von 80 Prozent auf nun 50 Prozent herabsetzten. Wie begründet Michele seine grundsätzlich positive Erwartungshaltung?
Zwar komme es zu einer Verstärkung der Inflation durch höhere Rohstoffpreise als Folge der westlichen Sanktionen gegen Russland, ebenfalls würden Lieferungsengpässe weiterhin ein grosses Problem darstellen, so Michele. Dennoch gebe es eine so hohe Nachfrage vonseiten der Unternehmen und Konsumenten in den USA, dass diese Widrigkeiten überstanden werden können. Die "Kombination von Rohstoffpreisschock und einer restriktiveren Geldpolitik vonseiten der US-Zentralbank" sei in der Tat ein "erheblicher Gegenwind", aber: "Wir glauben weiterhin, dass es genug Wachstum gibt, um die Inflation gut zu überstehen." Zudem gebe es die Möglichkeit höherer fiskaler Stimuli, um die Energiewende, militärische Aufrüstung und Flüchtlingskrise zu bewältigen.
"Börsen haben schon viel Negatives eingepreist"
Wegen seiner positiven Einschätzungen zur wirtschaftlichen Entwicklung ist Michele auch in Bezug auf die Entwicklung der US-amerikanischen und europäischen Börsen bullish eingestellt. Er ist der Ansicht, dass die Börsen die negativen Informationen bereits verarbeitet hätten, die Inflation und der Ukraine-Krieg spiegelten sich bereits in Gänze in den geringeren Preisen der Vermögenswerte wider. "Es gibt zwar noch eine gehörige Portion Risiko, aber es fühlt sich so an, als sei bereits vieles eingepreist." So stiegen die Zinsen für Junk Bonds (sogenannte Ramschanleihen von Unternehmen mit geringer Bonität) um zwei Prozentpunkte an, auch Anleihen von Unternehmen mit höheren Ratings bieten dem Anleger durchschnittlich 1,3 Prozent höhere Zinsen als noch vor dem Börsenabschwung, unterstreicht Michele.
Michele schaltet Risikomodus wieder ein
Bob Michele konnte deswegen in den vergangenen Tagen nicht widerstehen, sein Portfolio aufzustocken: "Die gegenwärtigen Bewertungen waren zu verlockend, um ignoriert zu werden." Deshalb schaltete der JPMorgan-Banker zurück in den Risikomodus, zumal die amerikanische Zentralbank Fed mit den jüngst angekündigten Zinsanhebungen aggressiv und womöglich effektiv gegen die Inflation vorgehe. Micheles Ausblick: "Es gibt weiterhin ein hohes Risiko. Der Krieg könnte eskalieren und negative Dominoeffekte auf andere Industrien verursachen, aber es fühlt sich so an, als hätte der Markt bereits viele schlechte Informationen eingepreist." Deshalb investiere er nun: "Sind wir damit ein paar Wochen zu früh? Vielleicht. Werden wir ein paar Quartale zu früh sein? Ich glaube nicht. Es gibt sehr viele Leute, die versuchen, ihr Geld zu investieren."
Michele rät zu Wertpapieren von europäische Banken
Der Anleihenexperte Michele kauft neben Qualitätsanleihen auch Junk Bonds, von denen er sich hohe Renditen verspricht - mit diesen Ramschanleihen sind allerdings nicht zu unterschätzende Ausfallsrisiken verbunden, da die die Anleihen ausgebenden Unternehmen meist eine geringe Bonität aufweisen. Im Aktienmarkt schätzt Michele indes die Aussichten des europäischen Bankensektors als besonders gut ein. Zwar litten die Banken in Europa aufgrund ihrer geographischen Nähe zu Russland besonders stark unter dem Ukraine-Krieg, aber laut Michele verfügten sie über äusserst gesunde Bilanzen. Darüber hinaus sind die Aktien europäischer Banken vergleichsweise günstig zu erstehen.
Viele Anleger scheinen Micheles Zuversicht zu teilen, denn in den vergangenen Handelstagen wurde an den US-amerikanischen und europäischen Börsenplätzen wieder beherzt zugegriffen. Besonders gefragt waren dabei US-Techaktien wie Apple, NVIDIA oder Tesla. Die Leitindizes in den USA und Europa konnten sich deutlich von ihren Tiefpunkten der ersten beiden Märzwochen distanzieren. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob es sich tatsächlich um eine fundamental untermauerte Hausse oder aber nur um eine technische Gegenbewegung nach starken Kursverlusten handelt.
Tim Kerkmann / Redaktion finanzen.ch
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