09.08.2021 16:15:19
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Schroders: Arbeiter aller Länder, vereinigt Euch!

Über 114 Millionen Arbeitnehmer wurden 2020 laut der Internationalen Arbeitsorganisation arbeitslos. Weitaus mehr mussten verkürzte Arbeitszeiten und Lohnkürzungen in Kauf nehmen. Beherbergung und Gastronomie waren die am schwersten betroffenen Branchen. Hier verringerte sich die Beschäftigung weltweit um über 20 %, gefolgt vom Einzelhandel. Die Lockdowns haben diese Sektoren besonders hart getroffen und hatten Schliessungen und einen Einbruch des Fremdenverkehrs zufolge. Die Annahme, es gäbe ein grosses Gerangel um Arbeitsplätze, wenn die Weltwirtschaft wieder an Fahrt gewinnt und die Geschäfte wieder öffnen, ist ein Trugschluss. Was wir vielmehr in einigen Branchen feststellen, ist ein Mangel an Arbeitskräften, der steigende Löhne zufolge hat.
Was sind die Ursachen dieses Arbeitskräftemangels?
Über die Hälfte der US-Unternehmen haben Probleme, Stellen zu besetzen (siehe Abbildung unten). Ganz ähnlich ist die Lage auch in Grossbritannien.
Mit dem Ende des Lockdowns sind die Ausgaben der Verbraucher sprunghaft angestiegen. Nach einem Jahr des Zwangssparens sind die Haushalte gut bei Kasse und freuen sich über die Wiedereröffnung der Wirtschaft. Aus der Abbildung unten ist ersichtlich, wie viel die Haushalte 2020 im Vergleich zu 2019 zur Seite legen konnten.
Die Verbraucher wollen insbesondere für Freizeit und Erlebnisse viel Geld ausgeben, da sie verlorene Zeit aufholen und ihr stagnierendes gesellschaftliches Leben wieder in Schwung bringen wollten. Betrieben, die seit über einem Jahr geschlossen waren, können dem plötzlichen Nachfrageansturm kaum standhalten, insbesondere angesichts von Covid-19-Bestimmungen, beispielsweise für die Bedienung am Tisch, und in Bezug auf strengere - und arbeitsintensive - Hygienestandards.
Unternehmen greifen auf ungewöhnliche Methoden zurück, um Personal für ihre vielen freien Stellen zu finden. Ein McDonald's-Restaurant in Florida bietet Stellenbewerbern 50 US-Dollar, wenn sie zum Vorstellungsgespräch erscheinen. Besonders erfolgreich war die Massnahme nicht. Andere Unternehmen bieten Boni und Belohnungen für die Vertragsunterzeichnung und Weiterempfehlungen mit unterschiedlichem Erfolg.
Was ist aus all den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geworden?
Es ist schon etwas merkwürdig, denn es gibt nicht weniger Arbeitskräfte als zuvor. Das Problem geht auf die Umstellung zurück, die durch die plötzliche Wiedereröffnung der Wirtschaft und den Zeit- und Verwaltungsaufwand für die Rekrutierung verursacht wurde. Volkswirte nennen das auch Fluktuationsarbeitslosigkeit.
In diesen Wirtschaftsbereichen werden zudem eher jüngere Mitarbeitende beschäftigt. Sie sind unter Umständen nicht bereit, an überfüllte Arbeitsplätze zurückzukehren, bevor sie nicht geimpft wurden. Dieses Problem wird sich mit der Zeit von selbst lösen, wenn immer mehr jüngere Menschen geimpft sind.
Ausserdem haben einige ältere Menschen ihren Ruhestand vorgezogen. Darauf deutet die niedrigere Erwerbsquote der über 60-Jährigen hin. Wir alle haben während der Pandemie unsere Prioritäten neu überdacht, und viele haben sich geschworen, mehr Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen. Wem es finanziell gut geht, der entschied sich, vorzeitig in den Ruhestand zu gehen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jeden Alters reduzieren die Arbeitszeit.
Die Zyniker unter uns werden wohl auch darauf verweisen, dass Erwerbstätige möglicherweise aufgrund der grosszügigen Hilfszahlungen nicht an Arbeitsplatz zurückkehren. Mindestlohnverdiener erhalten während der Pandemie genau so viel Kurzarbeitergeld, als wenn sie arbeiten würden, so heisst es in einigen Berichten.
In Grossbritannien hat der EU-Austritt die Anzahl der ausländischen Arbeitskräfte spürbar verringert. Schätzungsweise haben bis zu 1,3 Millionen ausländische Arbeitskräfte Grossbritannien seit Ende 2019 den Rücken gekehrt. Ausländische Arbeitskräfte sind überproportional im Gastgewerbe tätig, wodurch sich der Personalmangel verschärft. Einige der genannten Faktoren sind wahrscheinlich nur vorübergehend, aber dies Problem wird dauerhaft sein. Einige leidenschaftliche Befürworter des EU-Austritts setzen sich mittlerweile sogar für neue Einwanderungsprogramme ein!
Die Löhne steigen
Laut den Grundregeln der Wirtschaft erhöhen sich die Preise (d. h. Löhne), wenn die Nachfrage grösser ist als das Angebot. Dadurch sollten mehr beschäftigungslose Erwerbstätige an den Arbeitsplatz zurückkehren und der Arbeitskräftemangel ausgeglichen werden. Zudem sollte somit die Nachfrage abnehmen, da die Lohnsteigerungen zu höheren Preisen für Restaurantbesuche und Hotelübernachtungen führen. Sowohl in Grossbritannien als auch in den USA zeichnet sich dieser Trend bereits ab, vor allem im Einzelhandel und Gastgewerbe.
Lohn- und Gehaltserhöhungen fliessen in den generellen Inflationsdruck ein, der für Volkswirte (und Anleger) besonders interessant ist. Der Grund ist die Lohn-Preis-Spirale, die auf die regelmässige Anpassung der Löhne an die Steigerung der Lebenshaltungskosten zurückzuführen ist. Im Gegensatz zu den meisten Preisen bleiben Löhne und Gehälter auf demselben Niveau, selbst wenn sich die Konjunkturlage abschwächt. Volkswirte bezeichnen das als Lohnrigidität bzw. Lohnstarrheit.
Ein Silberstreifen am Horizont
Für nachhaltige Anlegerinnen und Anleger bedeutet die Lohninflation nicht nur schlechte Nachrichten. Die Kehrseite der höheren Kosten für Unternehmen ist zunächst einmal, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr Geld haben. Mindestlohnverdiener geben in der Regel einen hohen Anteil ihres Gehalts aus, sodass das meiste Geld wieder in die Wirtschaft zurückfliesst. Unternehmen, die diese Mitarbeitenden bedienen, sind unter dem Strich bessergestellt. Höhere Löhne und Gehälter fördern zudem die Einsatzbereitschaft und das Engagement der Beschäftigten, und davon profitieren die Produktivität und die Personalbindung. Deshalb bevorzugen wir in der Regel Unternehmen, die bereits mehr als den Mindestlohn bezahlen. Ausserdem ist der Kostendruck für sie geringer, wenn die Lohnuntergrenze ansteigt. Unternehmen, die ihr Personal nicht wertschätzen, sehen sich dem Risiko der Personalfluktuation am stärksten ausgesetzt, wenn sich neue Berufsmöglichkeiten für Mitarbeitende ergeben.
Ein neuer Gesellschaftsvertrag
Das Gehalt ist selbstverständlich nur ein Element des Beschäftigungspakets: Der Stellenwert, den andere Sozialleistungen wie Gesundheitsversorgung, Kinderbetreuung und Krankheitsurlaub einnehmen, hat sich im vergangenen Jahr ebenfalls erhöht. Unternehmen, die in der Gig-Economy tätig sind und Mitarbeitende mit Kurzzeitverträgen oder Freiberufler, anstatt Festangestellte beschäftigen, wie Uber und Essens-Lieferdienste, sehen sich aufgrund des Drucks durch Aufsichtsbehörden und Investoren zunehmend gezwungen, ihren Arbeitnehmern angemessene Sozialleistungen anzubieten. Der Börsengang von Deliveroo wurde unlängst durch bekannte britische Investoren boykottiert. Der Grund waren ESG-Bedenken (Umwelt, Soziales und Governance). Andererseits haben Unternehmen festgestellt, dass flexible Arbeitsmöglichkeiten nach der Pandemie für die Rekrutierung und Personalbindung unerlässlich sind.
Seit Beginn der Pandemie vertreten wir die Überzeugung, dass sich ein neuer Gesellschaftsvertrag abzeichnet. Dies trifft vor allem auf die Behandlung des Personals durch die Arbeitgeber zu. Durch den Mangel an Arbeitskräften geht dieser Vorgang schneller vonstatten als von uns erwartet. Eine knappe Ressource in der modernen Ökonomie ist häufig die Arbeit. Viele Unternehmen sagen: "Unser wichtigstes Kapital geht abends nach Hause." Deshalb sollte der Umgang mit dem Personal in jeder Branche Priorität haben, sowohl aus finanziellen als auch ethischen Gründen.
Wie beurteilen wir, wie gut sich Betriebe um ihr Personal kümmern? Neben den Angaben zur Personalfluktuation, betriebsinternen Mitarbeiterbefragungen und Schulungsprogrammen untersuchen wir die Zufriedenheit der Beschäftigten sowie Kommentare auf Portalen wie Glassdoor. Ein Warnsignal für uns sind niedrige bzw. sich verschlechternde Punktzahlen - denn das lässt durchblicken, dass Mitarbeitende bei nächster Gelegenheit kündigen könnten.
Die britische Bäckereikette Greggs ist ein ideales Beispiel für gute Mitarbeiterbeziehungen. Die Firma scheint vom berichteten Arbeitskräftemangel nicht betroffen zu sein. Wir erklären das mit einer treuen Belegschaft und der Tatsache, dass alle Mitarbeitende, ob Studentin oder Halbtagskraft, jedes Jahr einen gewinnabhängigen Bonus erhalten. Der US-Einzelhändler Target ist ein weiteres Unternehmen, das aufgrund der Sozialleistungen für das Personal, u. a. gerechte Bezahlung, ungewöhnlich niedrige Fluktuationsraten vorweist, obwohl landesweit die Kündigungsrate Höchststände erreicht hat.
Das Personal hat die Verhandlungsmacht
Das Kräfteverhältnis hat sich erstmals in Jahrzehnten zugunsten der Mitarbeitenden verschoben. Sie nutzen ihre neu gewonnene Stellung und verlangen mehr von den Arbeitnehmern: angemessene Vergütung, Karrierechancen und mehr Flexibilität am Arbeitsplatz. Das Humankapital ist ein starker Wertschöpfer, und wir als nachhaltige Anleger halten es für wichtig, dass die Unternehmen, in die wir investieren, zeigen können, dass sie sich um ihr Personal kümmern.
Fondsfinder
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