Expertenkolumne |
20.11.2024 13:21:11
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Die wirtschaftlichen Veränderungen, die US-Wähler sehen wollen
Der Wahlsieg von Donald Trump in der vergangenen Woche war eindeutig: Er gewann sowohl das Electoral College als auch die Mehrheit der Gesamtstimmen und erzielte in nahezu allen demografischen Gruppen Zugewinne. Viele sahen diesen Erfolg als Zuspruch für kühne Veränderungen und als klarer Auftrag für seine Vorhaben.
Dieser globale Wahltrend wird noch interessanter, wenn man die wirtschaftlichen Entwicklungen der betroffenen Länder betrachtet. Laut OECD-Daten hat sich der Lebensstandard in den USA in den letzten fünf Jahren nicht nur verbessert, sondern ist regelrecht in die Höhe geschossen - im Gegensatz zu fast allen anderen Regionen der Welt. Anders ausgedrückt: Gemessen an der gesamtwirtschaftlichen Leistung besteht in den USA somit kaum Bedarf an grösseren Veränderungen.
Gleichwohl verbergen sich hinter den Gesamtdaten je nach Einkommensklasse grosse individuelle Erfahrungsunterschiede. Viele einkommensschwache Amerikaner konnten nämlich von der wirtschaftlichen Entwicklung nicht profitieren und stehen nicht besser da als zuvor. Daher wählten viele von ihnen - ähnlich wie in anderen Ländern - den Wandel. Und mit seiner ersten Amtszeit und knappen republikanischen Mehrheiten im Kongress hat Trump auch gute Voraussetzungen, seine Wahlversprechen umzusetzen. Die Menschen wünschen sich ein gerechter verteiltes Wirtschaftswachstum und reale Verbesserungen im Lebensstandard. Entsprechend wären Massnahmen, die die Inflation bekämpfen, die Effizienz steigern und die Produktivität fördern, am ehesten geeignet, die Bedürfnisse der US-Wähler zu erfüllen.
Wirtschaftsstärke und die amerikanische Ausnahmestellung
Die USA haben trotz der pandemiebedingten Inflation wirtschaftlich besser abgeschnitten als die meisten anderen Industrieländer.
Bereits vor der Pandemie zählte der Lebensstandard in den USA - gemessen am kaufkraftbereinigten BIP pro Kopf - zu den höchsten der Welt und lag 35 bis 50 Prozent über dem Niveau der Eurozone, Grossbritanniens, Kanadas und Japans. Seit 2019 haben die USA ihre Spitzenposition behauptet. Abgesehen von wenigen kleineren Eurozonen-Ländern übertraf ihre wirtschaftliche Entwicklung alle anderen OECD-Staaten: Der reale Lebensstandard pro Kopf stieg um zehn Prozent, während Japan und die Eurozone lediglich zwei bis drei Prozent Zuwachs verzeichneten. In Deutschland, Grossbritannien und Kanada ist der jetzige Lebensstandard sogar unter dem Niveau von 2019.
Bemerkenswert ist, dass die USA diesen Aufschwung trotz einer Inflation verzeichnen konnten, die unter dem Median anderer OECD-Länder liegt. Die kumulative Steigerung des Verbraucherpreisindex in den USA seit 2019 beträgt 19 Prozent und liegt damit unter der Inflationsrate Deutschlands, Grossbritanniens und Australiens im selben Zeitraum.
Diese Zahlen verdeutlichen einen aussergewöhnlichen Produktivitätsschub in den USA nach der Pandemie. Wie kein anderes Land haben die USA ihren vorpandemischen Produktivitätstrend noch übertroffen, angetrieben durch starke Investitionen in geistiges Eigentum sowie Forschung und Entwicklung.
Das alles spricht eigentlich dafür, dass die US-Wirtschaft im Vergleich zu fast allen anderen Ländern wohl weniger auf drastische Veränderungen angewiesen ist. Aber: viele Amerikaner hatten nichts von der vergleichsweise besseren Wirtschaftsentwicklung. Die aggregierten Statistiken verdecken drastische Unterschiede in der Veränderung des Lebensstandards über verschiedene Einkommensgruppen hinweg. Laut der Federal Reserve liegen die realen Vermögenswerte der einkommensschwachen Bevölkerung unter dem Niveau von 2019, wohingegen die letzten fünf Jahre für wohlhabendere Haushalte äusserst lukrativ waren.
Umgang mit Unsicherheit
Trumps Wahlsieg dürfte ihn in seinen Veränderungsplänen bestärken, die weitreichende Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Aussichten haben könnten. Eine Politik, die faireren Handel, effizientere Märkte und eine nachhaltigere Schuldenpolitik anstrebt, könnte den Lebensstandard weiter steigern. Durchdachte Reformen im Einwanderungssystem, eine effizientere Regulierung, die Entbürokratisierung von Investitionen und die Erschliessung neuer Exportmärkte könnten ebenfalls klare Vorteile für Unternehmen und Arbeitnehmer bringen.
Andererseits könnten aggressive Massnahmen wie Handelszölle ohne strategischen Nutzen, massive Budgetkürzungen bei Regierungsbehörden oder Druck auf die Federal Reserve die Wirtschaft belasten: Sie könnten die Unsicherheit erhöhen, Investitionen und Neueinstellungen verzögern und Exporte schwächen. Strengere Grenzpolitik würde Unternehmen, die auf Einwanderer angewiesen sind, vor Herausforderungen stellen. Höhere Zölle auf Anlagegüter könnten die Kosten für Investitionen in den USA steigern - mit potenziell inflationären Effekten - und die Wettbewerbsfähigkeit des US-Exportsektors schmälern.
Fazit
Die US-Wirtschaft hat sich in den letzten fünf Jahren insgesamt gut entwickelt, auch wenn nicht alle Amerikaner davon profitiert haben. Trumps auf Veränderung und Disruption ausgerichtete Agenda könnte die Wirtschaft weiter stärken, Produktivität und Lebensstandards erhalten und die wirtschaftlichen Vorteile gerechter verteilen. Gleichzeitig zeigt die Vergangenheit, dass Abschottung und Populismus das Produktivitätswachstum bremsten und den am stärksten benachteiligten Menschen kaum halfen.
Tiffany Wilding, Ökonomin bei PIMCO
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