Chronologie der Manipulation |
03.08.2020 23:15:00
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Wirecard-Saga: Der drastische Abstieg des einstigen DAX-Überfliegers
Das Finanzdienstleistungsunternehmen Wirecard galt lange Zeit als deutsches Vorzeigeunternehmen im Bereich von Payment-Lösungen. Auf den kometenhaften Aufstieg des Konzerns folgte nun jedoch der bittere Absturz, welcher Milliarden von Investorengeldern vernichtete.
• Ex-Manager ist auf der Flucht
• Die 1,9 Milliarden hat es vermutlich nie gegeben
Die Geschichte des einstigen DAX-Superstars Wirecard beginnt im Jahr 1999 in München. Nach einer Reihe von Zusammenschlüssen und Kooperationen wurde die damalige Wire Card AG dann im Jahr 2004 durch ein sogenanntes Reverse-IPO im Prime Standard der Deutschen Börse gelistet. Im Jahr 2006 folgte dann die Umbenennung des Konzerns von Wire Card in Wirecard, sowie die Aufnahme in den Technologieindex TecDAX.
24. September 2018 - der DAX-Aufstieg
Da sich die Geschäfte des Zahlungsdienstleister sowie die Wirecard-Aktien, seit der Aufnahme in den TecDAX prächtig entwickelten, folgte im September 2018 der Aufstieg des Unternehmens in die erste deutsche Börsenliga. Die Aufnahme in den DAX markierte zu dieser Zeit für viele Experten einen regelrechten Paradigmenwechsel in der deutschen Finanzindustrie, da der aufstrebende Payment-Konzern aus Aschheim bei München mit der Commerzbank eine der grössten deutschen Banken, welche über Jahrzehnte ihren Platz innerhalb der DAX-Familie inne hatte, ablösen konnte.
Mit einem Preis von zeitweise über 190 Euro markierten die Anteilsscheine zu dieser Zeit auch ihr absolutes Allzeithoch. Zwischen der Aufnahme in den Technologieindex TecDAX im Jahr 2006 und der Erfassung im DAX im Jahr 2018 konnte die Wirecard-Aktie so bis zu 2'800 Prozent an Wert gewinnen.
30. Januar 2019 - die ersten Zweifel
In einer Online-Ausgabe der Financial Times erscheint ein anonymer Bericht über den Wirecard, welcher hochrangigen Managern des Konzerns Betrug und Geldwäsche in Singapur unterstellt. Die Quelle bezog sich in diesem Zusammenhang auf ein internes Papier, welches diese zweifelhaften Geschäftspraktiken thematisiert haben soll. Die Wirecard-Aktien stürzten in Folge dieses Berichtes unmittelbar um rund 21 Prozent ein.
1. Februar 2019 - der zweite Schock
Lediglich zwei Tage nach der ersten kritischen Veröffentlichung, legte das Londoner Wirtschaftsmagazin nach und berichtete über Belege, welche von einer externen Anwaltskanzlei bei einer Prüfung in Singapur aufgefunden wurden sollen, die auf eine schwere Bilanzmanipulation hindeuteten.
7. Februar 2019 - der dritte Bericht der Financial Times
In einem dritten Bericht unterstelle die Londoner Wirtschaftszeitung, dem für Asien zuständigen Finanzchef von Wirecard, die vorsätzliche Täuschung der Behörden. Laut der Financial Times soll der hochrangige Manager bis zu sechs weitere Kollegen darüber aufgeklärt haben, wie die Umsätze von Kunden vorgetäuscht werden können, um von den Behörden in Hongkong eine Geschäftslizenz zu erhalten. Im Kern ging es dabei um explizite Ertragsziele, welche der Konzern dem Bericht zufolge nicht auf legalem Weg erreichen konnte.
8. Februar 2019 - Razzia in Singapur
Nur einen Tag nach dem dritten Bericht der Financial Times wurde die Polizei in Singapur aktiv und durchsuchte die Geschäftsräume des Konzerns in der asiatischen Metropole. Welche genauen Ergebnisse und Materialien die Behörden durch die Durchsuchung gewinnen und sichern konnten, ist dabei jedoch unklar geblieben.
Zwischen dem Januar-Hoch und dem Februar-Tief im Jahr 2019 fielen die Anteilsscheine so von rund 167 auf 97 Euro und büssten damit insgesamt über 40 Prozent ein.
18. Februar 2019 - das Leerverkaufsverbot der BaFin
Aufgrund des massiven Kurssturzes der Wirecard-Aktie, welcher sich innerhalb von sehr wenigen Handelstagen vollzog, verhängte die Finanzaufsicht BaFin eine zweimonatige Leerverkaufssperre für die Anteilsscheine des DAX-Konzerns. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht sorgte mit diesem Schritt für eine Premiere an der Deutschen Börse, da die Aufsichtsbehörde im Fall Wirecard erstmalig in ihrer Geschichte ein Verbot für Leerverkäufe für ein einzelnes Unternehmen aussprach.
Darüber hinaus wird bekannt, dass die Münchener Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen den Enthüllungsjournalisten der Financial Times eingeleitet hat.
15. März 2019 - Indien-Geschäft im Visier der Ermittler
Die Ermittlungsbehörden aus Singapur haben Mitte März, nach Angaben des Handelsblatts, auch das Indien-Geschäft von Wirecard unter die Lupe genommen. Ähnlich wie in Singapur gingen die Behörden dabei dem Verdacht der Geldwäsche und Dokumentenfälschung nach.
21. März 2019 - die Financial Times tritt nach
In einem weiteren Bericht der Financial Times wird darauf aufmerksam gemacht, dass das Wirecard-Vorstandsmitglied Jan Marsalek von den dubiosen Transaktionen in Singapur, welche im Mittelpunkt der Vorwürfe gegen den Konzern stehen, schon länger gewusst habe.
26. März 2019 - erste Erklärungsversuche
Wirecard veröffentlicht einen Teil der Ergebnisse seines internen Prüfberichts, welcher von der in Singapur beheimateten Rechtsanwaltskanzlei Rajah & Tann durchgeführt wurde. Da der Bericht zu dem Ergebnis kommt, dass es möglicherweise nur zu vereinzelten Straftaten lokaler Mitarbeiter in Singapur kam, erholt sich die Aktie kräftig und kletterte zwischen Ende März und Mitte Mai von rund 110 auf über 150 Euro.
17. April 2019 - BaFin greift durch
Aufgrund des Verdachts der Marktmanipulation erstattet die BaFin bei der Staatsanwaltschaft München Anzeigen gegen knapp ein Dutzend Beteiligte. Die Financial Times wies derartige Beschuldigungen jedoch unmittelbar zurück.
22. Juli 2019 - der Gegenangriff von Wirecard
In einem Brief forderte Wirecard die britische Zeitung auf, jegliche Berichterstattung über den Konzern unmittelbar einzustellen. Darüber hinaus drohte Wirecard der Financial Times mit der Veröffentlichung von unwiderlegbaren Beweisen, die eine Zusammenarbeit zwischen der Zeitung und einem Hedgefonds offenlegen.
15. Oktober 2019 - verdächtig hohe Gewinne in Dubai
Die Financial Times veröffentlicht einen weiteren Bericht, welcher die Höhe der Umsätze und Gewinne des Konzerns in Dubai und Irland anzweifelt. Laut den Recherchen der Zeitung sollen so im Jahr 2016 beispielsweise rund die Hälfte der Konzerngewinne über ein in Dubai ansässiges Partnerunternehmen namens Al Alam Solutions entstanden sein.
21. Oktober 2019 - Wirecard bringt KPMG ins Spiel
Um die Vorwürfe der Londoner Zeitung rund um die Bilanzierungspraktiken aufzuklären, hat sich der Konzern dazu entschlossen, die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG zu beauftragen, um eine unabhängige Untersuchung der Vorwürfe voranzutreiben. Der Payment-Dienstleister erhoffte sich dabei eine schnelle und unkomplizierte Aufarbeitung der zahlreichen Anschuldigungen.
9. Dezember 2019 - FT zweifelt an Bar-Reserven
In einem weiteren Artikel der Financial Times werden die ausgewiesenen Bar-Reserven von Wirecard angezweifelt. Laut den Journalisten hat der Zahlungsdienstleister in seiner Bilanz für das Geschäftsjahr 2017 fremde Gelder, welche auf diversen Treuhandkonten geparkt wurden, kurzerhand zu den eigenen Bar-Reserven hinzuaddiert. Somit wurden ab diesem Tag nicht mehr nur der Gewinn und Umsatz des Konzerns angezweifelt, sondern auch die Cashflow-Rechnung.
28. April 2020 - KPMG kommt zu keinem klaren Ergebnis
Der mehrfach verschobene Prüfbericht von KPMG wird veröffentlicht. Entgegen vieler Erwartungen kann jedoch auch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft nicht genau feststellen, ob die Höhe der Umsätze in den Geschäftsjahren zwischen 2016 und 2018 vorsätzlich manipuliert wurden. In Folge dieses enttäuschenden Ergebnisses fällt die Wirecard-Aktie innerhalb kürzester Zeit von über 130 auf unter 90 Euro.
8. Mai 2020 - der letzte Rettungsversuch
Der Konzern kündigt umfassenden Umstrukturierungsmassnahmen an. Die Erschaffung einer Compliance-Abteilung soll für neues Vertrauen unter den Kunden und Aktionären sorgen.
26. Mai 2020 - Hauptversammlung wird verschoben
Wirecard verschiebt die Hauptversammlung sowie die Vorlage der Konzernbilanz. Grund hierfür ist das noch nicht vollendete Testat der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young.
5. Juni 2020 - Razzia in Aschheim
Die Staatsanwaltschaft München durchsucht die Geschäftsräume der Hauptniederlassung in Aschheim bei München. Laut der Staatsanwaltschaft besteht der dringende Verdacht, dass verantwortliche Mitarbeiter im Zeitraum vom 12. März und 22. April 2020 irreführende Ad-hoc-Mitteilungen publiziert haben, welche den Aktienkurs in eine bestimmte Richtung getrieben habe sollen. In diesem genannten Zeitraum klettere die Wirecard-Aktie von ca. 85 bis auf rund 140 Euro.
18. Juni 2020 - das Todesurteil von Ernst & Young
Statt der sehnsüchtig erwarteten Jahresbilanz überbringt die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young das endgültige Todesurteil für den Zahlungsdienstleister. Die Experten sind nämlich zu dem Ergebnis gekommen, dass es keinen Nachweis für die im Konzernabschluss befindlichen Bankguthaben in Höhe von 1,9 Milliarden Euro gibt. Zudem äusserten die Prüfer den Verdacht, dass der Konzern bei bestimmten Salden getäuscht habe.
Diese Horrormeldung liess den Aktienkurs des DAX-Konzerns unmittelbar von 104 auf zeitweise sogar unter 30 Euro einbrechen. Innerhalb weniger Stunden hat Wirecard somit bis zu 71 Prozent seines Börsenwertes verloren.
19. Juni 2020 - Braun dankt ab
Markus Braun legt sein Amt als Vorstandsvorsitzender nieder und tritt mit sofortiger Wirkung zurück. Der Posten wird vom US-Manager James Freis übernommen.
23. Juni 2020 - Ex-Vorstandschef bleibt in Freiheit
Nach einer Zahlung in Höhe von fünf Millionen Euro kommt der ehemalige Vorstandsvorsitzende Markus Braun vorläufig aus der Untersuchungshaft.
25. Juni 2020 - Insolvenzantrag wird eingereicht
Wegen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung reicht Wirecard beim Amtsgericht München einen Insolvenzantrag ein.
26. Juni 2020 - Wirecard-Aktie markiert Allzeittief
Im Verlauf des Xetra-Handels ist die Wirecard-Aktie noch 1,08 Euro wert - damit reduzierte sich das Papier um mehr als 99 Prozent gegenüber dem Rekordhoch vom Sommer 2019 bei rund 190 Euro.
28. Juni 2020 - Amtsgericht beruft Insolvenzverwalter
Das Amtsgericht München betraut Michael Jaffe mit der Verwaltung der Insolvenzmasse des DAX-Konzerns.
13. Juli 2020 - Politik bekommt Mitschuld
Das von Olaf Scholz geleitete Bundesfinanzministerium gerät zunehmend unter Druck. Einige Experten werfen dem Minister vor, dass er zu lange untätig geblieben ist.
20. Juli 2020 - Ex-Vorstandsmitglied vermutlich nach Weissrussland geflohen
Das ehemalige Mitglied des Vorstands, Jan Marsalek, wird in Weissrussland vermutet. Schon wenige Stunden nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft soll sich Marsalek vermutlich auf den Weg nach Weissrussland gemacht haben.
22. Juli 2020 - Staatsanwaltschaft erneuert Haftbefehle
Die Münchener Staatsanwaltschaft gibt bekannt, dass sie erneut Haftbefehle gegen Braun und weitere Topmanager des Konzerns erteilt hat. Den Beschuldigten wird dabei vorgeworfen, dass sie die Bilanz des Konzerns schon seit dem Jahr 2015 vorsätzlich manipuliert hätten.
29. Juli 2020 - BaFin droht mit Zwangsgeldern
Laut Finanzaufsicht hat Wirecard gegen Pflichten in Bezug auf die Jahresfinanzinformationen für das Geschäftsjahr 2019 verstossen. Demnach wurde die Erfüllung der Finanzberichterstattungspflichten angeordnet und Zwangsgelder in Höhe von 330'000 Euro angedroht.
31. Juli 2020 - Zoll und BaFin prüfen Geldwäsche-Verdach
"Die FIU und die BaFin haben sich - im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit - auf eine Task Force geeinigt, um gemeinsam an der Auswertung der vorhandenen geldwäscherechtlichen Hinweise im Fall Wirecard zu arbeiten", ließ das Bundesfinanzministerium verlauten.
Pierre Bonnet / finanzen.ch
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